„Ich kann mich mit dem Sozialauftrag der Studierendenwerke voll identifizieren“

Matthias Anbuhl, der neue Generalsekretär des Deutschen Studierendenwerks, im Gespräch.

Am 1. Oktober 2021 übernahm Matthias Anbuhl, 51, das Amt des Generalsekretärs bzw. Vorstandsvorsitzenden des Deutschen Studierendenwerks (DSW), des Verbands der 57 Studenten- und Studierendenwerke in Deutschland. Anbuhl kommt vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), wo er die Abteilung Bildungspolitik und Bildungsarbeit leitete. Im Gespräch erläutert er, was ihn antreibt, und welche Ziele er verfolgt.

 

Herr Anbuhl, vom DGB zum DSW, von der Gewerkschaft zum Studierendenwerk – ein Quereinstieg, ein Bruch?

Matthias Anbuhl: Ich würde sagen: eine logische, fast organische Fortsetzung meiner bisherigen bildungspolitischen Arbeit, die fußt auf Werten wie gesellschaftliche Teilhabe und Chancengleichheit im Bildungssystem. Genau dafür stehen auch die 57 Studenten- und Studierendenwerke! Als soziale, gemeinnützige und nicht profitorientierte Dienstleistungsunternehmen des öffentlichen Bildungssektors sorgen sie mit ihren Leistungen dafür, dass ein Hochschulstudium allen offensteht, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, also unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Von daher sehe ich mein neues Amt durchaus in einer Linie mit meinem bisherigen Weg. Meine neue Aufgabe reizt mich sehr, und ich kann mich mit dem sozialen Auftrag der Studierendenwerke voll identifizieren! Wie die Studierendenwerke etwa in den vergangenen fünfzehn Monaten die Überbrückungshilfe der Bundesregierung für Studierende in pandemiebedingter Notlage mit großem Engagement umgesetzt haben, zeigt ihre Relevanz. Die Studierenden- und Studierendenwerke sind das soziale Rückgrat der Hochschulen.

Das Deutsche Studierendenwerk versteht sich ja aber auch als ‚Stimme der Studierenden‘…

Ja, wir haben eine doppelte Mission: Uns für gute Rahmenbedingungen für die Studenten- und Studierendenwerke einzusetzen – und ebenso für die sozialpolitischen Belange der Studierenden. Das eine bedingt für mich das andere, und das lässt sich auch nicht trennen: Je besser die Studierendenwerke die ‚soziale, wirtschaftliche und gesundheitliche Förderung der Studierenden‘ leisten können, wie ihr staatlicher Sozialauftrag gewöhnlich formuliert ist, desto besser auch für die Studierenden. Denken Sie an die hochschulpolitischen Dauerbrenner-Themen wie bezahlbaren Wohnraum für Studierende oder das BAföG: Hier kommen Sie an den Studierendenwerken und am DSW nicht vorbei.

Viele Studierende klagen, sie seien in der Pandemie von der Politik vergessen worden…

In der Tat wurden die Studierenden in der Corona-Pandemie arg gebeutelt: Studierendenjobs und damit für viele die finanzielle Existenzgrundlage sind weggefallen, das Campus-Leben kam zum Erliegen, sie haben drei Semester, also ein halbes Bachelor-Studium lang, online gelernt. Kurzum: Vieles, was ein Studium ausmacht, ist in der Pandemie weggefallen. Die Studierenden- und Studierendenwerke haben das ganz konkret gesehen: Nicht nur bei der Überbrückungshilfe, die finanzielle Notlagen mildern soll, sondern auch bei der psychosozialen Beratung, die zum Teil förmlich ‚überrannt‘ wird.

Die junge Generation hat sich in der Pandemie sehr solidarisch gezeigt. Jetzt ist es an der Zeit, dass die künftige Bundesregierung zurückzahlt. Egal, was am Ende steht – eine Ampel- oder eine Jamaika-Koalition, sie sollte ein starkes Paket für die Studierenden schnüren: Dazu zählt der kräftige und vor allem schnelle Ausbau des BAföG, Investitionen in Neubau und Sanierung von studentischen Wohnheimen sowie der Ausbau der psychosozialen Beratung.

Wir haben stark dafür geworben, dass diese Punkte in den Wahlprogrammen aufgenommen werden. Das ist auch gelungen. Jetzt muss eine neue Koalition auch liefern.

Ihre Lehren aus der Pandemie?

Die Pandemie hat Schwächen unseres Bildungssystems gnadenlos aufgezeigt, vom der Kita, über die Schule bis hin zur Hochschule. Unser Land steht vor enormen Herausforderungen: Der sozialökologische Strukturwandel, der demographische Wandel – die Boomer-Generation geht in den 2020er Jahren in Rente – und die Digitalisierung. All diese Trends erfordern mehr qualifizierte Menschen. Nach wie vor aber hängt der Bildungsweg eines Menschen in Deutschland sehr stark ab vom sozioökonomischen Hintergrund.

Und wenn Sie sich vor allem den Hochschulbereich anschauen, Ihr neues Arbeitsfeld?

Dann gilt das erst recht! Die Studierendenwerke stellen die soziale Infrastruktur an den Hochschulen, und diese soziale Infrastruktur muss, nicht zuletzt auch mit Blick auf eine stärkere Digitalisierung, von Bund und Ländern gemeinsam gestärkt werden – so wie Bund und Länder ja seit vielen Jahren auch gemeinsam Studienplätze finanzieren.

Großen Handlungsdruck sehe ich beim BAföG; wir brauchen endlich eine grundlegende, eine strukturelle Reform, damit es wieder viel mehr Studierende erreicht, vor allem auch aus der Mittelschicht. An erster Stelle steht für mich eine massive Erhöhung der Bedarfssätze und Elternfreibeträge. Davon würden vor allem Studierende aus einkommensschwächeren Haushalten profitieren, gerade auch Studierende aus Nicht-Akademiker-Familien. Außerdem sollte der BAföG-Darlehensanteil aufgegeben und das BAföG wieder als Vollzuschuss gezahlt werden. Wichtig ist auch, dass die Förderungshöchstdauer um mindestens zwei Semester verlängert wird. Das sind alles Punkte, die wir an die Parteien adressieren, die die Koalitionsverhandlungen zur Regierungsbildung führen.

Ich sehe noch einen weiteren Punkt. Peter-André Alt, der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), nennt die Hochschulen mit Blick auf Nachhaltigkeit und Klimaneutralität ‚Reallabore der Zukunft‘. Wir haben rund 2,9 Millionen Studierende, und für sie sind Nachhaltigkeit und Klimaschutz ganz oben auf ihrer politischen Agenda, und sie fordern das zu Recht auch ein für ihre Hochschulen – und ihre Studierendenwerke. Die sind bestens dafür aufgestellt, ihre Ressourcen noch klimaschonender einzusetzen, noch nachhaltiger zu arbeiten. Die Studierendenwerke sind nah an den Studierenden dran, kennen ihre Bedarfe und Bedürfnisse – das sehe ich als einen strategischen Erfolgsfaktor auf dem Weg zu einem zukunftsorientierten Hochschulsystem.

 

Matthias Anbuhl, 51, wuchs in Eckernförde auf. Er absolvierte ein Lehramtsstudium an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. In den Jahren 2003 bis 2008 leitete er das Parlamentarische Verbindungsbüro der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Berlin, seit 2009 leitete er bis zu seinem Wechsel zum Deutschen Studierendenwerke die Abteilung Bildungspolitik und Bildungsarbeit beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Anbuhl ist Experte für alle Bereiche des Bildungssystems, von der frühkindlichen Bildung über die Hochschulen bis hin zur beruflichen Aus- und Weiterbildung.

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